Am Montag erschien in der New York Times eine Kolumne zu den historischen Wurzeln der zivilen Kontrolle über das Militär.
Der Autor John R. Miller -Dozent am konservativen Discovery Institut - widmete sie einer Rede, die George Washington, seinerzeit Kommandant der amerikanischen Truppen im Unabhängigkeitskrieg, 1783 vor Offizieren gehalten hatte, die wegen unzureichender Bezahlung verärgert waren. Den Brief eines Kongressabgeordneten an die 500 kurz vor einer Meuterei stehenden Offiziere in der Hand, die sich in Newburgh, New York, versammelt hatten, setzte Washington seine Brille auf und sagte: "Gentlemen, sie müssen mich dafür entschuldigen, dass ich über den Dienst für mein Land nicht nur grau sondern auch blind geworden bin". Die Offiziere waren bewegt und eine Revolte gegen die junge Regierung wurde, so Miller, abgewendet.
Warum veröffentlichte die Times gerade jetzt einen Artikel zu diesem Thema? Für wen ist diese Geschichtsstunde gedacht?
Die meiste Zeit in der amerikanischen Geschichte wurde das Prinzip der Unterordnung des Militärs unter die gewählte Regierung widerspruchslos hingenommen - außer bei zwei Gelegenheiten, wo seine Anwendung in höchstem Maße umstrittenen war: Erstens bei der Entlassung von General George McClellan durch Abraham Lincoln im Bürgerkrieg und zweitens bei der Entlassung von General Douglas MacArthur durch Harry Truman während des Koreakrieges.
Besonders bemerkenswert sind die einleitenden und abschließenden Passagen des Artikels, die sich eindeutig auf die Gegenwart beziehen. "Die zivile Kontrolle des Militärs ist ein in Ehren gehaltenes Prinzip amerikanischer Regierungen", schreibt Miller. "Präsident Obama hat entschieden, unseren Einsatz in Afghanistan auszuweiten, und der Kongress wird entscheiden, ob er die notwendigen Gelder zur Umsetzung dieser Entscheidung bereitstellt. Der Präsident und der Kongress, nicht das Militär, werden entscheiden, ob unsere Gesetze dahingehend geändert werden, dass es Schwulen und Lesben erlaubt wird, in unseren bewaffneten Streitkräften zu dienen. Das Militär berät, aber die Entscheidung trifft die Zivilregierung."
Nachdem er seine Geschichte von Washington in Newburgh erzählt hat, beginnt Miller seinen letzten Abschnitt mit einer deutlichen Warnung: "Aber starke Armeen machen sich oft ihre eigenen Gesetze und viele Nationen sind trotz einer starken Verfassung unter die Kontrolle des Militärs geraten".
Die Entscheidung der Times, diesen Kommentar zu bringen, muss vor dem Hintergrund der wachsenden Macht des militärischen und Geheimdienstapparates und seiner immer offeneren Rolle im politischen Leben Amerikas gesehen werden. Seit 1961 ist diese Macht unermesslich angewachsen. Seinerzeit schon warnte Präsident Dwight Eisenhower vor der Bedrohung der Demokratie durch den "militärisch-industriellen Komplex", dessen "umfassender Einfluss" - sogar damals - "in jeder Stadt, jedem Parlament, jedem Büro der Bundesregierung zu spüren ist."
Belege für die zunehmende Macht und die straflose Einmischung des Militärs und der Geheimdienste gibt es reichlich:
Die Aussage von Vizeaußenminister Patrick Kennedy vor dem Kongress vom 27. Januar beinhaltete auch, dass der Bombenattentäter Umar Farouk Abdulmutallab auf Flug-253 seinen weihnachtlichen Flug von Amsterdam nach Detroit mit der Komplizenschaft von einem oder mehreren US-Geheimdiensten antrat. Es ist ebenfalls aufgedeckt worden, dass die amerikanischen Geheimdienste Abdulmutallabs Namen kannten, Kenntnis darüber hatten, dass ein im Jemen vorbereiteter Anschlag wahrscheinlich am 25. Dezember stattfinden sollte und dass ihnen darüber hinaus Warnungen des britischen Geheimdienstes und des Vaters des jungen Mannes vorlagen.
Nicht ein einziger Angehöriger der amerikanischen Geheimdienste wurde für das, was der offiziellen Version der Ereignisse nach ein unerklärliches Versagen des teuersten und umfassendsten Geheimdienstnetzes der Welt ist, zur Verantwortung gezogen; Kennedys Enthüllungen wurden in den Medien praktisch totgeschwiegen. Eine plausiblere Erklärung lautet, dass mächtige Elemente innerhalb des Staates dachten, dass ein Anschlag, gescheitert oder nicht, benutzt werden könnte, um die amerikanische Regierung zu destabilisieren.
In den Monaten vor der angekündigten Ausweitung des Kampfeinsatzes in Afghanistan, sorgten Quellen aus dem Umfeld von General Stanley McChrystal, US Befehlshaber in Afghanistan, und General David Petraeus, Oberkommandierender des US Central Commands dafür, dass ständig Informationen durchsickerten. Sie machten kein Geheimnis daraus, dass sie eine Änderung der Afghanistanpolitik erreichen wollten. McChrystal warb in aller Öffentlichkeit für eine Aufstockung der Truppen um ungefähr so viel, wie Obama schließlich verfügte, und wurde dabei von prominenten Mitgliedern der Republikaner unterstützt.
Als im vergangenen Jahr nach der gerichtlich angeordneten Freigabe von Memoranden aus Bushs Justizministerium, die eine pseudolegale Begründung für die Folter von "Terrorverdächtigen" geschaffen hatten, Forderungen nach einer Untersuchung aufkamen, trat der ehemalige Vize Präsident Dick Cheney eine öffentliche Kampagne gegen die Obama Administration los. Seitdem haben die Geheimdienste und das Militär mit Hilfe von "undichten Stellen" und verbündeten Persönlichkeiten wie Cheney eine entschlossene Verteidigungskampagne für Folter und andere demokratiefeindliche Aspekte des "Kriegs gegen den Terror" gestartet.
Im Juli 2009 kam ans Licht, dass das Repräsentantenhaus und der Geheimdienstausschuss des Senats acht Jahre lang nicht über ein "geheimes Anti-Terrorismus Programm" informiert worden waren. Obamas Central Intelligence Agency (CIA) Chef, Leon Panetta, hatte erst Monate nachdem er die Leitung der CIA übernommen hatte, davon erfahren. Die Los Angeles Times berichtete, dass das Programm "weit über das unkontrollierte Abhörprogramm hinausging... indem es zusätzliche verdeckte Aktivitäten einschloss, die 'beispiellose' Überwachungsmöglichkeiten entstehen ließen".
Am 27. April 2009 flog eine der beiden Air Force One Maschinen - die vom US Präsidenten benutzte Boeing 747 - begleitet von Kampfjets im Tiefflug über New York City. Beamte behaupteten absurder Weise, die Operation sei notwendig gewesen, um ein Bild von Air Force One vor dem Hintergrund der Freiheitsstatue zu erhalten. Der Flug, der eine Panik in Manhattan provozierte, fand ohne Wissen Obamas oder des New Yorker Bürgermeisters Michael Bloomberg statt.
Nach seiner Amtseinführung ließ Obama das US-Militär-Kommando und hochrangige Mitarbeiter der wichtigsten Geheimdienste weitgehend unangetastet, während er gleichzeitig Generäle in zivile Spitzenpositionen beförderte und Bushs Verteidigungsminister Robert Gates im Amt ließ. Diese Personalentscheidungen, die Obama im Namen der "Kontinuität" traf, veranschaulichten Obamas Geringschätzung für die weit verbreitete Feindschaft gegen die Kriegspolitik der Bush-Regierung, die seinem Wahlsieg zugrunde lag.
Im September 2007 wurde bekannt, dass ein atomar bewaffneter B-52 Bomber die Vereinigten Staaten ohne Genehmigung überflogen hatte.
Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York City und Washington DC initiierte und leitete Cheney ein "Continuity of Government" genanntes Programm, mit dem eine geheime Regierung an einem "geheim gehaltenen, sicheren Ort" geschaffen wurde, an dem er später einen Großteil seiner Zeit verbrachte. Die Schattenregierung wurde vollständig aus der Exekutive, dem Militär und den Geheimdiensten gebildet. Gewählte Mitglieder des Kongresses gab es darin nicht und sie wussten auch nichts von ihrer Existenz. Ob die Schattenregierung aufgelöst wurde, ist nicht klar.
Es gibt nach wie vor keine glaubwürdige Erklärung für den Anschlag vom 11 September. Es wurde nicht ein einziges Mitglied der US-Geheimdienste, die angeblich für den Schutz der amerikanischen Bevölkerung verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen, obwohl es nach der offiziellen Version der Ereignisse das größte Versagen der inneren Sicherheit in der US-Geschichte war. Immerhin wurde der Zwischenfall dazu genutzt, die Invasionen in Afghanistan und dem Irak sowie beispiellose Angriffe auf demokratische Grundrechte zu starten.
Im Jahr 2000 hatte der Oberste Gerichtshof George W. Bush die umstrittene Präsidentschaftswahl auf dem Tablett serviert, als er den Stopp der Stimmenauszählung in Florida verfügte. Al Gore akzeptierte aus Furcht vor Widerstand aus dem Militär seine Niederlage. Die Republikaner hatten das Militär während des Streits um das Wahlergebnis offen umworben. Eine Quelle aus Gores Umfeld sagte, er "habe sich sehr auf den Gedanken versteift, dass - falls er Präsident würde - es nicht im nationalen Interesse sei, wenn seine Beziehung zum Militär von Misstrauen geprägt sei."
Die World Socialist Web Site, die diese und ähnliche Al Gore zugeschriebene Bemerkungen kommentierte, stellte dazu fest "Sie laufen darauf hinaus, ein militärisches Vetorecht über den Ausgang einer nationalen Wahl und den Mann im Weißen Haus zu akzeptieren. Die Unterordnung des Militärs unter die zivile Regierung ist ein Grundprinzip der amerikanischen Verfassung. Die Tatsache, dass dieser Grundstein der Demokratie so ausgehöhlt worden ist, ist ein starker Hinweis auf den Verfall der bürgerlich-demokratischen Institutionen in den USA."
Diese Liste, die noch sehr viel länger sein könnte, ist der Kontext, in dem die Geschichtsstunde der "Times" über die zivile Kontrolle des Militärs erschienen ist.
Mit ihrer Kolumne vom Montag verweist die Zeitung sogar schon zum zweiten Mal innerhalb der letzten Wochen auf die Furcht vor der Gefahr, die das Militär und die Geheimdienste für die Zivilregierung darstellen.
Das erste Mal tat sie es allerdings eher indirekt. Ein Artikel vom 23. Januar unter dem Titel "Gates prophezeit Folgen wegen der schwierigen Beziehungen zu Pakistan" enthüllte eine kürzliche Reise von Verteidigungsminister Robert Gates und schloss mit folgender Zeile: "Seine letzte übermittelte Nachricht [war], er habe sich auf seiner 14-stündigen Heimreise bei dem Film 'Sieben Tage im Mai' entspannt. Das ist ein Film aus der Zeit des Kalten Krieges, der von einem versuchten Militärputsch in den Vereinigten Staaten handelt."
Angesichts des wachsenden Selbstbewusstseins und der Dreistigkeit der Sicherheitsdienste scheint es unwahrscheinlich, dass diese Information ohne tiefere Absicht veröffentlicht wurde.